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Schülervorstellungen und Lernschwierigkeiten von Grundschulkindern im Bereich Elektrizitätslehre

1. Einführung

Die Kenntnis der Schülervorstellungen und Lernschwierigkeiten ist eine wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Unterricht. Denn sie ermöglicht fundierte curriculare Entscheidungen und eine verbesserte Kommunikation zwischen Lehrkraft und Schülern.

Die folgenden Ausführungen sind im Wesentlichen eine Zusammenfügung zweier bereits früher veröffentlichter Forschungsberichte (siehe Literaturhinweise [1], [2]). Im ersten Teil wird über eine Untersuchung mit Hilfe von teilstrukturierten Interviews berichtet. Diese Ergebnisse spiegeln das spontane Denken und den spontanen Zugriff der Kinder wieder. Im zweiten Teil wird über Einzellehrgespräche berichtet, mit denen die Reaktionen von Grundschulkindern auf eine bestimmte curriculare Entscheidung untersucht werden. Unabhängig davon, ob man diese spezielle Folgerung akzeptiert oder ablehnt, liefert die Untersuchung interessante und wichtige Informationen über die Lernprozesse.

Für einen schnellen Überblick wird die Lektüre der Zusammenfassung der Ergebnisse der Interviews auf der folgenden Seite und die beiden vollständig wiedergegeben Interviews am Anfang des Berichtes über die 2. Interviewserie empfohlen.

Im Anhang werden einige kritische Anmerkungen zu Darstellungen in Sachunterrichtsbüchern ausgeführt (siehe Anhang: Anmerkungen zur Behandlung der Elektrizitätslehre in Sachunterrichtsbüchern). Viele Lehrkräfte halten sich aus Unsicherheit an diese Texte. Oft ist hier allerdings Vorsicht geboten, will man nicht etwas Falsches oder zu falschen Vorstellungen Führendes unterrichten. Auf Quellennachweise wird mit Absicht verzichtet.

2. Interviews zur Ermittlung von Schülervorstellungen

Zusammen mit mehreren Studierenden für das Lehramt an Grundschulen wurden zwei Interviewserien durchgeführt (24 Schüler und 13 Schüler).

Zunächst eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse:

Bei den Interviews legt man den Schülerinnen und Schülern die üblichen Materialien wie Drähte, Lämpchen, Batterien u.ä. vor, lässt sie Prognosen abgeben, führt Phänomene vor und lässt sie dazu Erklärungen formulieren:

1) Etwa ¾ der befragten Schüler waren der Meinung, dass das Lämpchen leuchten würde, wenn die Verbindung zwischen Batterie und Lämpchen mit einem Kabel hergestellt würde.

2) Nach der Demonstration, dass dies nicht der Fall ist, suchten diese Schüler die Ursache weitgehend in defekten oder ungeeigneten Materialen (Batterie kaputt/verbraucht, Lämpchen kaputt, Kabel verstopft, Anschlussklemmen zu dünn u.ä.)

3) Nach Demonstration der funktionieren Schaltung mit zwei Verbindungskabeln boten fast alle Schüler (85%) die Erklärung an, dass durch ein Kabel zu wenig Strom/Elektrizität zum Lämpchen kommt, bei zwei Kabeln reicht es zum Leuchten.

Wie in diesen Interviews entwickeln und äußern nach unseren Unterrichtserfahrungen viele Schüler in einem eher selbstentdeckend durchgeführten Unterricht, eine Zweizuführungsvorstellung: Von beiden Batterieklemmen aus fließt von beiden Seiten durch die Kabel Elektrizität zum Lämpchen. Von den Schülern, die anfangs keine Stromkreisvorstellung geäußert hatten, erklärte in unseren Befragungen niemand den Misserfolg mit einem Kabel und den Erfolg mit zwei Kabeln mit einer Stromkreisvorstellung. Diese Vorstellung ist offensichtlich extrem unplausibel, die Zweizuführungsvorstellung – in allen möglichen Varianten – als spontane Erklärung dagegen sehr einleuchtend.

Die folgenden Abbildungen stellen die 4 verbreitetsten Vorstellungen der Kinder zum Stromkreis zusammen.

ss_vorst1a
Abb. 1a: Zweizuführungsvorstellung
Aus beiden Laschen fließt die gleiche
Substanz in gleicher Menge zum Lämpchen.

ss_vorst1b
Abb. 1b:
physikalische Stromkreisvorstellung

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Abb. 1c: Verbrauchsvorstellung
Hinter dem Lämpchen fließt ein geringerer
trom als in der Hinleitung, wobei sich als
Variante auch die Qualität der Substanz
verändert haben kann.

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Abb. 1d: Zweisubstanzvorstellung
Aus den beiden Batterieanschlüssen
fließt jeweils eine unterschiedliche Substanz
zum Lämpchen.

4) Fast Schüler sind der Meinung, dass im Lämpchen der Strom ganz oder teilweise verbraucht oder verändert wird. Eine Stromkreisvorstellung, bei der die gleiche Elektrizitätsmenge vor und hinter dem Lämpchen durch das Kabel in die gleiche Richtung fließt, ist sehr selten vorhanden. Die Vorstellung, irgendetwas Substanzartiges kommt von der Batterie zum Lämpchen, bewirkt dort etwas (das Leuchten des Lämpchens), ohne dass das substanzartige Etwas verbraucht oder wenigstens irgendwie umgewandelt wird, ist für Grundschulkinder unglaubwürdig.

 

Die Ergebnisse der 1. und 2. Interviewserie können Sie hier im Detail als PDF downloaden:

Ergebnisse der 1. Interviewserie (224 KB)

Ergebnisse der 2. Interviewserie (220 KB)

 

3. Akzeptanzbefragungen

Unsere früheren Lehr-Lern-Untersuchungen bei Mittelstufenschülern und bei Primarstufenschülern führten uns zu der Auffassung, dass die magnetische Wirkung um stromdurchflossene Leiter für die Einführung der Stromkreisvorstellung recht überzeugend ist. Um die Lernschwierigkeiten der Schüler und die Wirksamkeit der auf der magnetischen Wirkung beruhenden Argumente genauer zu untersuchen, wurden von uns Einzelbefragungen durchgeführt, und zwar nach der von uns entwickelten Methode der Akzeptanzbefragung /3/. Mit dieser Methode soll u.a. das folgende bei den offenen Interviews auftretende Problem vermieden werden: In vielen Interviews zeigte es sich, dass im Gesprächsverlauf aus anfänglich recht vagen Vorstellungen der Schüler sehr klar formulierte, ausgereifte Fehlvorstellungen wurden, m.a.W., bei diesen Schülern entstanden erst auf Grund der Untersuchung selbst schwer revidierbare Fehlvorstellungen. Das wirft natürlich die Frage auf, ob Untersuchungen mit solchen Nebeneffekten überhaupt vertretbar sind.

Aus diesem Grund, und weil wir besonders an Informationen über die Art der Barrieren, die das Akzeptieren der angebotenen Ideen verhindern, interessiert waren, wendeten wir die Methode der Akzeptanzbefragung an. Die Idee des Verfahrens besteht darin, den Schülern ein Theorieelement (hier die Stromkreisvorstellung) zu erklären und dann auf verschiedene Art herauszufinden, was sie davon und wie sie es verstanden haben. Durch weitere Informationsangebote wird getestet, ob bzw. wie die Barriere ' überwunden' werden kann. Es wird also gerade nicht Schritt für Schritt ein suggestiver, induktiver Einzelunterricht durchgeführt, sondern auf pointierte Weise die physikalische Sicht angeboten.

Details zu den Akzeptanzbefragungen können Sie hier als PDF downloaden:

Akzeptanzbefragungen: Schema und Ergebnisse (280 KB)

 

4. Zusammenfassung und Folgerungen für den Unterricht

Die beschriebene Untersuchung war so angelegt, dass man als Ergebnisse Hinweise auf Lernschwierigkeiten und Informationen über die Überzeugungskraft der demonstrierten Phänomene und vorgetragenen Argumente auf die Schülerinnen und Schüler erhält.

Die Akzeptanzbefragung bestätigte, dass Grundschüler erhebliche Schwierigkeiten haben, die Stromkreisvorstellung und die Erhaltung der Elektrizität zu akzeptieren. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass es durchaus recht überzeugende Argumente gibt, die Grundschülern die physikalische Sicht zugänglich macht. Die Verknüpfung von Stromstärke bzw. hindurchfließender Elektrizitätsmenge mit der beobachtbaren Intensität von Vorgängen (Leuchten eines Lämpchens, Drehzahl eines E-Motors, Ablenkung einer Magnetnadel) ist für alle Schüler plausibel und kann als grundlegende Vorstellung zur Konstruktion weiterführender, akzeptierbarer Argumentketten verwendet werden, wie oben beschrieben. Jedenfalls ist die Schussfolgerung, dass die Elektrizitätslehre für die Grundschule zu schwierig ist, nicht haltbar.
Führt man eine Unterrichtseinheit zur Elektrizitätslehre durch und will man vermeiden, dass die Schüler am Ende ausgereifte, hartnäckige Fehlvorstellungen haben, die späteres, aufbauendes Lernen erschweren oder sogar blockieren, müssen die physikalischen Grundideen in einer für die Schüler nachvollziehbaren Weise vermittelt werden.
Natürlich wird man einen Unterricht nicht so belehrend durchführen, wie in der Akzeptanzbefragung. Selbstverständlich müssen Elemente offenen Ungangs mit den Materialien, spielerische Zugänge usw. ausgewogen mit Phasen etwas engerer Führung bei der Diskussion der schwierigen physikalischen Ideen kombiniert werden.

Anhang: Anmerkungen zur Behandlung der Elektrizitätslehre in Sachunterrichtsbüchern

Die Durchsicht von Sachunterrichtsbüchern zeigt, dass in der Regel keine akzeptable physikalische Propädeutik angeboten wird, an die als weiterführende Grundlage später angeknüpft werden kann. Im Gegenteil, es werden den Schülern sogar eine ganze Reihe von Fehlkonzeptionen nahegelegt.

Lesen dazu mehr in folgendem Anhang zu diesem Abschnitt:

Anhang: Anmerkungen zur Behandlung der Elektrizitätslehre in Sachunterrichtsbüchern (150 KB)